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Wolf Biermann - Villon in Deutschland: Wintermärchen lyrics

Artist: Wolf Biermann

album: Lieder vom preußischen Ikarus


Im deutschen Dezember floß die Spree
Von Ost- nach Westberlin
Da schwamm ich mit der Eisenbahn
Hoch über die Mauer hin
Da schwebte ich leicht übern Drahtverhau
Und über die Bluthunde hin
Das ging mir so seltsam ins Gemüt
Und bitter auch durch den Sinn
Das ging mir so bitter in das Herz
- Da unten, die treuen Genossen
So mancher, der diesen gleichen Weg
Zu Fuß ging, wurde erschossen
Manch einer warf sein junges Fleisch
In Drahtverhau und Minenfeld
Durchlöchert läuft der Eimer aus
Wenn die MP von hinten bellt
Nicht jeder ist so gut gebaut
Wie der Franzose Franz Villon
Der kam in dem bekannten Lied
Mit Rotweinflecken davon
Mein großer Bruder Franz Villon
Wohnt bei mir mit auf Zimmer
Wenn Leute bei mir schnüffeln gehn
Versteckt Villon sich immer
Dann drückt er sich in' Kleiderschrank
Mit einer Flasche Wein
Und wartet bis die Luft rein ist
Die Luft ist nie ganz rein
Er stinkt, der Dichter, blumensüß
Muss er gerochen haben
Bevor sie ihn vor Jahr und Tag
Wie'n Hund begraben haben
Wenn mal ein guter Freund da ist
Vielleicht drei schöne Fraun
Dann steigt er aus dem Kleiderschrank
Und trinkt bis Morgengraun
Und singt vielleicht auch mal ein Lied
Balladen und Geschichten
Vergisst er seinen Text, soufflier
Ich ihm aus Brechts Gedichten
Mein großer Bruder Franz Villon
War oftmals in den Fängen
Der Kirche und der Polizei
Die wollten ihn aufhängen
Und er erzählt, er lacht und weint
Die dicke Margot dann
Bringt jedesmal zum Fluchen
Den alten alten Mann
Ich wüsste gern was die ihm tat
Doch will ich nicht drauf drängen
Ist auch schon lange her
Er hat mit seinen Bittgesängen
Mit seinen Bittgesängen hat
Villon sich oft verdrückt
Aus Schuldturm und aus Kerkerhaft
Das ist ihm gut geglückt
Mit seinen Bittgesängen zog
Er sich oft aus der Schlinge
Er wollt nicht, dass sein Hinterteil
Ihm schwer am Halse hinge
Die Eitelkeit der höchsten Herrn
Konnt meilenweit er riechen
Verewigt hat er manchen Arsch
In den er musste kriechen
Doch scheißfrech war Francois Villon
Mein großer Zimmergast
Hat er nur freie Luft und roten
Wein geschluckt, geprasst
Dann sang er unverschämt und schön
Wie Vögel frei im Wald
Beim Lieben und beim Klauengehn
Nun sitzt er da und lallt
Der Wodkaschnaps aus Adlershof
Der drückt ihm aufs Gehirn
Mühselig liest er das "ND"
(Das Deutsch tut ihn verwirrn)
Zwar hat man ihn als Kind gelehrt
Das hohe Schul-Latein
Als Mann jedoch ließ er sich mehr
Mit niederm Volke ein
Besucht mich abends mal Marie
Dann geht Villon so lang
Spazieren auf den Maueren und
Macht dort die Posten bang
Die Kugeln gehen durch ihn durch
Doch aus den Löchern fließt Bei Franz Villon nicht Blut heruas
Nur Rotwein sich ergießt
Dann spielt er auf dem Stacheldraht
Aus Jux die große Harfe
Die Granzer schießen Rhythmus zu
Verschieden nach Bedarfe
Erst wenn Marie mich gegen früh
Fast ausgetrunken hat
Und steht Marie ganz leise auf
Zur Arbeit in die Stadt
Dann kommt Villon und hustet wild
Drei Pfund Patronenblei
Und flucht und spuckt und ist doch voll
Verständnis für uns zwei
Natürlich kam die Sache raus
Es lässt sich nichts verbergen
In unserm Land ist Ordnung groß
Wie bei den sieben Zwergen
Es schlugen gegen meine Tür
Am Morgen früh um 3
Drei Herren aus dem großen Heer
Der Volkespolizei
"Herr Biermann" - sagten sie zu mir
"Sie sind uns wohl bekannt
Als treuer Sohne der DDR
Es ruft das Vaterland
Gestehen Sie uns ohne Scheu
Wohnt nicht seit einem Jahr
Bei ihnen ein gewisser
Franz Fillonk mit rotem Haar?
Ein Hetzer, der uns Nacht für Nacht
In provokanter Weise
Die Grenzsoldaten bange macht."
- Ich antwortete leise:
"Jawohl, er hat mich fast verhetzt
Mit seinen frechen Liedern
Doch sag ich ihenen im Vertraun:
Der Schuft tut mich anwidern!
Hätt ich in diesen Tagen nicht
Kurellas Schrift gelesen
Von Kafka und der Fledermaus
Ich wär verlorn gewesen
Er sitzt im Schrank, der Hund
Ein Glück dass sie ihn endlich holn
Ich lief mir seine Frechheit längst
Ab von den Kindersohln
Ich bin ein frommer Kirchensohn
Ein Lämmerschwänzen bin ich
Ein stiller Bürger. Blumen nur
In Liedern sanft besing ich."
Die Herren von der Polizei
Erbrachen dann den Schrank
Die fanden nur Erbrochenes
Das mählig niedersank
Ich dachte auch kurz an meinen Cousin
Den frechen Heinrich Heine
Der kam von Frankreich über die Grenz
Beim alten Vater Rheine
Ich mußte auch denken, was allerhand
In gut hundert Jahren passiert ist
Daß Deutschland inzwischen glorreich geeint
Und nun schon wieder halbiert ist
Na und? Die ganze Welt hat sich
In Ost und West gespalten
Doch Deutschland hat - wie immer auch
Die Position gehalten
Die Position als Arsch der Welt
Sehr fett und sehr gewichtig
Die Haare in der Kerbe sind
Aus Stacheldraht, versteht sich
Daß selbst das Loch - ich mein' Berlin
In sich gespalten ist
Da haben wir die Biologie
Beschämt durch Menschenwitz
Und wenn den großen Herrn der Welt
Der Magen drückt und kneift
Dann knallt und stinkt es ekelhaft
In Deutschland. Ihr begreift:
Ein jeder Teil der Welt hat so
Sein Teil vom deutschen Steiß
Der größre Teil ist Westdeutschland
Mit gutem Grund, ich weiß
Die deutschen Exkremente sind
Daß es uns nicht geniert
In Westdeutschland mit deutschem Fleiß
Poliert und parfümiert
Was nie ein Alchemist erreicht
- Sie haben es geschafft
Aus deutscher Scheiße haben sie
Sich hartes Gold gemacht
Die DDR, mein Vaterland
Ist sauber immerhin
Die Wiederkehr der Nazizeit
Ist absolut nicht drin
So gründlich haben wir geschrubbt
Mit Stalins hartem Besen
Daß rot verschrammt der Hintern ist
Der vorher braun gewesen

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